Der Wanderer: Song meines Lebens

Europe - ""Music Madness"

in den ehemaligen hannomaghallen standen mitte der neunziger jahre zwei oder drei circuszelte für veranstaltungen in denen gern am wochenende techno tobte. es war die zeit der mega-raves für
die wir um die halbe welt fuhren. als recht neuer jünger des raves war ich mit freunden am abend per bahn aufgebrochen,
raus aus der provinz und rein in die ehemalige schwerindustrie. wir waren damals gut zwei stunden unterwegs, vielleicht auch mehr, so dass wir passend zum einlass um mitternacht da waren. durften wir ja auch, wir waren ja schon achtzehn.

es war dann auch ziemlich schnell gut voll und in den zelten tobte der mob, ich kann mich noch daran errinnern, dass zwischen den zelten, also in der freien halle, der schall die alten krananlagen klirren liess. es war verdammt beeindruckend, diese riesen halle, die zelte mittendrin und es war ein druck auf den boxen, dass einem der atem stockte.

das partyvolk hatte sich fein zurechtgemacht, so wie es damalas sitte war: neon an jeder ecke, camouflage-klamotten, kurze röcke bei den damen, teilweise lange kilts bei den herren, weisse
handschuhe, adidas-pullover, einhundert-mark-t-shirts, sonnenbrillen, nackte oberkörper, kangolkappen, niedliche rucksäcke. zwischendrin ein paar lack-und-leder-gestallten, bauarbeitersicherheitswestenträger usw. die volle
mischung aus diesen tagen halt.

wir hatten unseren spass, an details kann ich mich echt nicht mehr erinnern. es mag gewesen sein, dass westbam oder eine ähnliche damalige grösse sich angekündigt hatte, ich kann mich noch sehr
vage an eine japanerin errinnern, die übelsten gabba-karm auflegte und dabei nicht eine miene verzog - nicht wie die anderen rave-kasper, von wegen hands up und so.

in einem kleinerem der drei zelte standen einige ehemalige reihen
kinosessel, man konnte da zu 110 db chill-out mucke ein bisschen die augen schliesse und auf den sich immer noch angekündigten
mainact des abends warten. es war irgendwie so gegen drei oder vier und man wartete. kann ja auch schliesslich sechs werden. man kannte das ja. also ab auf die kinosessel, die kangolkappe tief ins gesicht gezogen und/oder die sonnenbrille aufgesetzt. haben ein kumpel und ich dann auch so praktiziert und wir sind drei minuten später herrlich eingeknackt.

und dann wachen wir aufeinmal auf. es sind so mindestens dreizig minuten vergangen, eventuell auch sechzig. das kleine zelt ist gut voll. aus den boxen tönt "music madness". fast alle kinosessel sind weg, nur unsere reihe steht noch. alles ist mit matratzen ausgelegt.
vor uns zieht jemand mit seinen freunden eine line. es richt nach weihrauch, räucherstäbchen, dope und massageöl.

alle matratzen sind belegt. man trägt jetzt bevorzugt "oben ohne".
die liegenden lassen sich von mit verklärtem blick schauenden massieren. und wir landeier mitten drin.

"music madness".

wir schauen uns an, kangolkappe in den acken geschoben, blick über die brillengläser. und da spricht uns eine kleine techno-göttin an. "ich habe massageöl mit zitronenduft. wer von euch möchte zuerst?!"

...

tja. jetzt werden die sätze wieder länger, denn die ausreden waren sicher lausig. es ist mir gänzlich unbegreiflich, warum ich mich nicht habe durchwalken lassen. ich weis es nicht. ich habe keine ahnung, wie ich der massage-dame beigebracht habe, dass ich meinen ektomorphen oberkörper nicht zu enthüllen gedachte. und wer weis, vieleicht meinte sie auch, wer sie als erstes massieren wolle. dabei war ich so gerne in dieser komischen, zweiten technogeneration zu hause und war gierig danach, alle sinne spielen zu lassen. und was waren wir beeindruckt von uns selbst, dass wir uns über vermeintliche konventionen hinwegsetzte, von wegen aus hydranten zur loveparade trinken und bahngleise über die schienen wechseln. aber keine ralle, die technomaus und sich selber einzuölen... und so höre ich music
madness, denke an die zeiten, als massagen noch frei waren und sehne mich zurück...

Song meines Lebens von Der Wanderer
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Zuletzt am: 22. Aug, 20:23
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