Tracy Chapman - "Baby can I hold you"
Wie sicher bei vielen anderen auch gibt es in meinem Leben einen Song, bei
dem es
Klick macht und ich nur die ersten Takte hören brauche, um
mich sofort in die Zeit zurückversetzt zu fühlen und fast jede Sekunde noch
einmal durchlebe, mit der ich dieses Lied verbinde, den Text auch nach
jahrelangem Nicht-Hören sofort parat habe - er ist von Tracy Chapman:
"
Baby can I hold you"
Sorry
Is all that you can't say
Years gone by and still
Words don't come easily
Like sorry like sorry
Forgive me
Is all that you can't say
Years gone by and still
Words don't come easily
Like forgive me forgive me
But you can say Baby
Baby can I hold you tonight
Maybe if I told you the right words
At the right time you'd be mine
I love you
Is all that you can't say
Years gone by and still
Words don't come easily
Like I love you I love you
1988.
Mein Sohn war gerade mal ein Jahr und ich frische 21 Jahre alt, als ich Tim
kennenlernte.
Tim war, wenn ich mich recht erinnere, ein oder zwei Jahre älter, kam
ursprünglich aus dem Süden dieses Landes und steckte mitten in der
Ausbildung bei einem damals hier in Paderborn sehr monopolen Arbeitgeber.
Er wohnte über der Kneipe, in der ich jobbte, und dort lernten wir uns auch
kennen.
Rückblickend, nach gut 20 Jahren und einigen Beziehungen, auch vor Tim,
möchte ich behaupten, daß Tim meine erste große Liebe war, die einiges dazu
beigetragen hat, daß ich heute so bin, wie ich bin, natürlich im positiven
Sinne. Und diese erste große Liebe war später dann auch der "Maßstab" dafür
zu erkennen, daß ich derzeit und hoffentlich noch ganz lange meine zweite
große Liebe erlebe.
Doch zurück ins Jahr 1988.
Wir verbrachten einige schöne Monate. Er mochte auch meinen Sohn, aber ich
war nicht auf der krampfhaften Suche nach einem Vater-Ersatz für das Kind,
denn - so paradox das im Kontext mit der "großen Liebe" klingen mag -
irgendwie spürten wir beide, daß wir nicht ewig zusammenbleiben würden. Ich
kann das heute gar nicht mehr erklären oder begründen, ich weiß nur noch,
daß es so war, und wir wußten natürlich nicht, wieviel Zeit uns noch blieb,
aber das weiß man ja nie vorher.
Wir genossen einfach völlig unbeschwert unser Leben, und alles war gut so,
wie es war.
Doch mit dieser Unbeschwertheit war es leider ganz schnell vorbei:
Ich war schwanger.
Kurios ist, daß ich bei all meinen Kindern noch weiß, warum ich schwanger
geworden bin (also nicht
wie, ist ja klar, sondern
warum), nur
bei diesem ist es völlig in Vergessenheit geraten. Ist im Grunde ja auch
egal.
Als ich es erfuhr, weilte Tim gerade auf Heimaturlaub in 400 Kilometer
Entfernung. Ich wollte es ihm nicht am Telefon erzählen, also fuhr ich zu
ihm. Dafür lieh ich mir das Auto meiner Ma und brachte dort auch meinen Sohn
unter. Da CD-Player in Autoradios damals noch nicht Standard waren,
überspielte ich noch schnell ein paar CD's auf Kassette, im Nachhinein
stellte sich heraus, daß eine einzige gereicht hätte.
Die von Tracy Chapman.
Sie erschien 1988 und ich kaufte sie mir eigentlich nur wegen dem Lied
"
Talkin' bout a revolution" und hatte sie mir darüber hinaus noch nie
richtig angehört. Dazu kam ich erst auf dieser langen Strecke.
Beim 5. Song war es dann soweit, daß ich auf den nächsten Rastplatz fahren
und zum ersten Mal ob meiner absurden Situation heulen mußte.
"
Baby can I hold you" ist mein Song.
Mir ist klar, daß Chapman eigentlich über eine ganz andere Situation bzw.
Liebe singt als ich hineininterpretiere, aber allein schon der Titel, die
tragisch-sentimentale Melodie und die vielen im Text vorkommenden "Sorry's"
und "Forgive me's" reichten, um den Song zu meinem zu erklären. Und mehr
Worte brauchte es auch nicht.
Tim und ich fuhren nach einer durchgeredeten und durchgeweinten Nacht wieder
zurück und nahmen uns die nächsten Tage Zeit füreinander, um unsere
Situation zu besprechen und eine Entscheidung zu treffen.
Es blieb nicht viel Zeit, denn ich war schon in der 10. Woche, und diese
Tatsache erschwerte es ungemein, sich gegen das Kind zu entscheiden.
Aber wie wir es auch drehten und wendeten - wir konnten uns in unser beider
Situation, jeder für sich als auch zusammen, nicht für dieses Kind
entscheiden.
Das ist nichts, was man mal eben so feststellt.
Wir und vor allem ich, die ja schon ein Kind zur Welt gebracht hat und
wußte, welch unbeschreibliches Glück ein Kind bedeutet, machten uns diese
Entscheidung nicht leicht.
Und während dieser Zeit, dieser paar Tage, lief dieses eine Lied
ununterbrochen.
Genau wie meine Tränen.
Die Entscheidung war gefallen,
Like sorry like sorry...
und doch hoffte ich so sehr, daß die rethorische Frage, die Tracy Chapman
stellte mit "Baby can I hold you", doch noch mit einem Ja beantwortet werden
könnte.
Einen Tag vor dem Termin bei dem Arzt, der den Eingriff vornehmen sollte,
fuhren wir zu meiner Frauenärztin, um die Überweisung abzuholen. Ich bat die
Arzthelferin um einen Ultraschall, weil ich so sehr hoffte, daß das dann
sichtbare kleine schlagende Herzchen das
Ja wäre, auf das ich
insgeheim doch wartete.
Aber sie wies uns ab mit den Worten:"Wieso wollen sie es denn noch sehen,
wenn sie das Kind nicht behalten wollen?" und auf mein drängendes Bitten und
Flehen sagte sie dann, daß das Ultraschallgerät derzeit kaputt sei.
Es wäre zu einfach, die Verantwortung nun auf diese Arzthelferin abzuwälzen
- ich kann nicht sagen, ob wir oder auch nur ich uns umentschieden hätten,
wenn wir das Kind gesehen hätten. Heute möchte ich behaupten, ja.
(Zehnte bis elfte Woche - da ist schon alles dran, verdammt!)
Natürlich habe ich, haben wir diese Verantwortung ganz allein zu tragen,
aber damals tat es gut, eine andere "Schuldige" dafür zu haben, denn ich
allein wäre an dieser Last zusammengebrochen.
Am nächsten Tag, dem 16. Februar 1989, fuhren wir frühmorgens zum Arzt.
Tim kam mit rein, stand die ganze Zeit hinter mir, ich war nur örtlich
betäubt, und es war schrecklich. Es tat so weh, aber das sollte es wohl
auch.
Forgive me, forgive me...
Das schlimme an solchen Entscheidungen ist, daß man sie situationsbedingt
treffen muß. Aber das ist wohl mit jeder Entscheidung so. Ohne die
Erfahrungen, die man erst im Laufe der darauffolgenden Jahre erwirbt.
Damals, als alleinerziehende Mutter eines anderthalbjährigen Kindes und nur
mit Kneipenjob, der Freund in der Ausbildung ohne Wissen, was danach kommt,
und noch ein paar andere Umstände mehr, war es die richtige Entscheidung.
Für uns und auch für das Kind.
Aber es ist müßig daran zu denken, was wäre, wenn ich mich, wenn wir uns
anders entschieden hätten. Dann wäre mein Leben sicher ein bißchen anders
verlaufen als es ist. Vielleicht viel, vielleicht auch nur ein bißchen
anders. Wobei ich mit dem bisherigen Verlauf bis auf wenige Momente ganz
zufrieden bin.
Zum Glück war dieses Lied von Tracy Chapman kein Hit im üblichen Sinne, er
begegnete mir also nicht unerwartet beim Einkaufen oder anderen Situationen,
wo ich ihn nicht hätte hören wollen. Die ersten Jahre "danach" konnte ich
die CD nicht mehr sehen - zu schmerzhaft war das, was ich damit verband. Ich
legte sie in meine persönliche "Erinnerungskiste", in der auch die Kladde
lag, in die Tim und ich uns all unsere Gedanken und Gefühle ob der Situation
innerhalb dieser 7 Tage der Entscheidung zu treffenden Zeit aufschrieben,
wenn wir uns gerade nicht sehen und sprechen konnten. Dort steht auch dies,
das ich mit diesem Lied im Background schrieb:
Für mein Kind,
dem ich das Leben
nicht schenken konnte.
Übrig bleiben meine
Träume
Hoffnungen
Vorstellungen
von einem Leben mit Dir.
Übrig bleiben meine Erinnerungen
an das "Kribbeln" im Bauch.
Übrig bleibt meine Freude
von dem Moment,
in dem ich erfuhr,
daß Du Dich in meinem Bauch eingenistet hast.
Übrig bleibt das Gefühl
der Verbundenheit mit Dir.
Gefühle, die Dich nur schützen wollen.
Wollen, daß Du Dich wohlfühlst in mir
solange es geht.
Übrig bleiben die Vorwürfe & Schuldgefühle,
eine Entscheidung über Dich treffen zu müssen,
die ein Mensch gar nicht treffen kann.
Übrig bleibt eine Szene:
schützend lege ich die Hände auf den Bauch
heule dann los,
weil mir die Absurdität so klar wird
und ich den Widerspruch nicht ertragen kann:
jetzt schütze ich Dich
und dann
beende ich Dein Leben.
Mein Kleines,
ich will Dich
mit Respekt und Achtung behandeln
und Dich schützen
solange Du lebst.
Ich werde Dich nicht allein lassen,
werde versuchen
ganz ruhig und sanft zu sein.
Übrig bleibt die Erinnerung
an die Stille in der Kirche heute morgen -
sie läßt die Spannung hinwegschmelzen
und hilft,
den Tränen ihren freien Lauf zu lassen.
Ich spreche mit Dir,
versuche,
Dir tausend Erklärungen und Entschuldigungen zu bringen
und Du antwortest mir
"Ist schon gut, Mama - ich gehe wieder..."
Weinen.
Mein Kind, achte gut auf das,
was ich Dir trotzdem geben konnte.
Noch halte ich Dich, mein Kind -
wenn Du erst draußen bist
bist Du weg.
Übrig bleibt die Erinnerung
an den Augenblick
in dem mich der Wunsch überkam,
Dir einen Namen zu geben -
Cara.
Die Liebe.
Deine Mutter, am
16.02.1989
Tim und ich trennten uns einige Wochen nach der Abtreibung in Freundschaft
und hielten noch lange Zeit guten Kontakt.
Das Lied kann ich mittlerweile wieder ohne Schmerz hören, habe ich
festgestellt, nachdem ich die CD nach fast 15 Jahren extra für diesen
Bericht wieder hervorgekramt habe. Aber es wird nie irgendein, sondern immer
mein Lied sein.
Die ersten 3 Jahre "danach" waren die schlimmsten - ständig gab es
irgendwelche Situationen, in denen man daran erinnert wurde, oft flossen
noch die Tränen, und gute zwei Wochen nach dem Eingriff habe ich mich zum
zweiten und bisher letzten Mal in meinem Leben besoffen.
Die Abstände, in denen man errechnet, wie alt das Kind jetzt wäre, werden
größer, und längst weiß ich nicht mehr, wo der Stern am Himmel steht, auf
dem ich die Seele meines Kindes in der ersten Zeit nach dem Abbruch
vermutete.
Aber sie ist da, unvergessen.
Übrig bleibt die Erinnerung.
Years gone by and still...
Song meines Lebens von
Budenzauberin